Heimkehr ins Unbekannte

von Klaus Thomas

Der Klumpen nimmt Gestalt an. Wir erraten die Bucht von Livadia. Doch was ist dieser Fleck zu weit rechts vom Ort?

Wir passieren Antitilos, kleine Schwester und Vorbote. Ein mitreisender Grieche erklärt, daß in diesem Revier gut Kalamares zu fangen ist.

Einzelne Häuser Livadias sind identifizierbar. Und wirklich: Der weiße Fleck dort außerhalb ist ein weiterer Neubau.

Wiederkommern gelingt es nicht ihre erwartungsvolle Anspannung zu verbergen, ob Tourist oder Einwohner.

Erwartung auch bei den vielen Wartenden im Hafen auf der Pier, die sich zwischen dutzenden Fahrzeugen drängeln. Ganz langsam werden Menschen identifizierbar. Ist das nicht der dicke Jorgos? Und da: Mitsi, unser Zimmerwirt vom letzten Jahr. Allerdings hängen auf dem Balkon unseres Lieblingszimmers Handtücher; es scheint vermietet zu sein.

Einige Neubauten fallen auf. Veränderungen. Nikos hat seine Fassade pastellgrün gestrichen. Auch vieles Vertraute ist wiederzuerkennen.

"Nothing changes on Tilos" - Eine Halbwahrheit. Wer fürchtet das Geliebte zu verlieren, will, dass es so bleibt, wie es ist. Wenn alles so bliebe wie es ist, hätte Tilos keine Zukunft.

 

Wir nähern uns einem Ort, in dem einen Winter lang unsere Gedanken wohnten, Fixpunkt unserer Träume, Objekt entspannender Sehnsucht, kleiner Helfer im Alltag.

Die allmählich ernsthafter gestellte Frage: Werden wir irgendwann hier leben können? Ist das zu schaffen?

Wie nahe können wir Einheimischen kommen? Wir sind nichts anderes als Touristen!

Diese paar hochgeschätzten Wochen Urlaub sind ein Geschäft, die einzige Einnahmequelle der meisten Einwohner. Daran hängt die Existenz ganzer Familien. Also verkauft man uns das, wonach wir verlangen: Unbeschwerten Aufenthalt.

Die erfahrenen Anbieter in diesem Dienstleistungs-Business haben ihr Verhalten perfektioniert. Ein bisschen mehr Servilität, das ist es, was der nordeuropäische Tourist schätzt. Das Essen wird - kein Grieche kann das logisch nachvollziehen - heiß serviert. Es muß vor dem Verzehr abkühlen, aber der Gast wünscht es so. Mit viel Sensibilität werden derartige Eigentümlichkeiten des fremden Besuchers aufgespürt und selbstverständlich bedient. Gehört auch "You are my friend" zum Business?

Was ist also echt? Was ist traditionell griechisch? Was sind denn das für Fragen? Wollen wir bedauern, dass Griechenland vom Tourismus geprägt ist? Wer sind wir? Die einzigen Guten in einem üblen Touristenheer?

Die Leine am Poller. Die letzten paar Meter bis zur Pier zieht sich die Fähre heran. Die Rampe sinkt vibrierend auf den Beton. Auch die Nerven vibrieren. Nichts hindert unsere Sehnsüchte heimzukehren. Wenige Schritte, und wieder werden wir ein bißchen vom Unbekannten erkennen.

Mitsi schließt uns lachend in die Arme. Wir kommen unangemeldet, dennoch weiß er nach über einem Jahr unsere Namen. Er hat wohl nur auf uns gewartet. Wir sind doch Freunde, wie er sagt. Das gefällt. - Ist das alles die Suche in der eigenen Fremdheit?

Warum reisen wir nach Griechenland? Ist es mehr als Sonne, Sand, "die Leute sind so gastfreundlich" und "es war der günstigste Last-Minute-Flug in den Süden"?

© Klaus Thomas 1999

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