Katalaweno - sich selbst verstehen

von Klaus Thomas

Domatio - zwischen Kommerz und Freundschaft

Unser Delfini nähert sich dem Mini-Archipel Fourni. Versteckt in einer der zahlreichen Buchten liegt der Hafenort. Zusätzlich geschützt durch die vorgelagerte Inselschwester Thymaina.

Diese zweistündige Überfahrt läßt Beobachtungsfragmente sammeln. Konstruktive Details des Tragflächenbootes erzählen vom griechischen Pragmatismus. Mein Blick fällt auf eine Lochreihe am Rand der Schornsteinverkleidung. Diese Bohrungen sind offensichtlich zum Aufnehmen von Befestigungsschrauben vorgesehen. Doch welch Verschwendung der Konstrukteure. Im mehrjährigen Betrieb hat sich erwiesen, daß ca. die Hälfte dieser kostbaren Schrauben verzichtbar ist. Deren Verwendung war anderswo notwendiger. Und - kein Problem - die Verkleidung hält. "Hält noch". "Sie hält, das zählt!" Ich vermute, daß zukünftig noch manche der hinterbliebenen Schrauben ihren Nachbarn verlieren wird.

Das Boot verlangsamt. Die Flügel tauchen ein. Gespannt starren wir durch die milchigen Frontscheiben. Bemühen uns um einen ersten Eindruck. Jetzt hält uns nichts mehr auf den Sitzen. Wir ergatten einen Stehplatz mit freiem Blick durchs Ausstiegsluk. Das Dorf Fourni versucht nicht durch oberflächliche Schönheit zu blenden. Es läßt eintauchen in die authentische Atmosphäre einer gesund gewachsenen Struktur.

Nur eine Handvoll Ankömmlinge gehen mit uns von Bord. Drei oder vier ältere Dorfbewohner stehen erwartungsvoll in Position. Wir lehnen die Zimmerangebote dankend ab. Das Kafenion gleich am Anleger entbehrt irgendwelcher "Rooms"-Schilder, daher wird es vorübergehend unser Basislager. Zunächst ein genußvolles Frühstück. Danach können wir unbeeinflußt eine genehme Unterkunft ausgucken, das Gepäck darf solange hier am neutralen Ort bleiben. Bei Käsetoast, Rührei mit Tomaten, Kaffee und Orangensaft heissen wir unsere nachhinkende Großstadtseele willkommen in diesem unkomplizierten Ruhigsein.

Einer der Zimmeranbieter, der ältere Herr, dem wir schon einen Korb gegeben hatten, spricht uns erneut an. Er fragt, ob wir schon eine Unterkunft haben, ob er uns helfen könne. Natürlich wissen wir sofort, daß sein Interesse rein geschäftlicher Natur ist und lehnen leicht genervt ab. Auch ohne seine Hilfe bekommen wir problemlos ein Appartement im Haus unserer Wahl.

Fourni verfügt im Unterschied zu vielen anderen Kleininseln, neben dem Tourismus über eine zweite wirtschaftliche Basis: den Fischfang. Es werden sogar nordafrikanische Gastarbeiter beschäftigt. Auch touristisch unterscheidet sich Fourni: Es kommen überwiegend Inlandsurlauber. Hier darf man authentisch Ausländer sein. Oft führt Englisch nicht weiter.

Ti na kanume - nichts zu machen ohne Drachmen

Wir müssen Euroschecks verflüssigen aber es gibt keine Wechselstube. Wir fragen uns zum Postamt durch. Ja, natürlich wissen wir, daß die griechische Post seit mehreren Jahren keine Euroschecks mehr einlöst. Aber vielleicht ausnahmsweise hier? "Die Post löst schon seit mehreren Jahren keine Euroschecks mehr ein" belehrt uns freudig der Beamte. Jemand will uns etwas auf Griechisch erklären. Wir verstehen nur den Namen "Niko" und irgenwas mit "Hotel". Wir danken, grübeln kurz, ob uns hier wieder 'ne Unterkunft vermittelt werden soll und tun es dann in die Ablage "wir müssen nicht alles verstehen und wird schon nicht so wichtig gewesen sein".

Unser Drachmenmangel landet, wie jedes ansonsten nicht lösbare Problem, bei Zimmerwirt oder -wirtin. Toula, unsere Vermieterin, hält selbstverständlich sofort eine Lösung bereit: Ohnehin muß sie wegen Zahnschmerzen - "kein Problem", wie sie sagt - am morgigen Samstag zur Hauptinsel Ikaria. Montag ist sie zurück. Wenn wir ihr die ausgefüllten Euroschecks mitgeben, könnte sie die dort für uns einlösen. Eine Weile bearbeiten wir unseren Mißtrauensreflex. Geldwerte niemals ohne Beleg aus der Hand geben! Dann stellen wir ihr drei Schecks á Fünfzigtausend Drachmen aus; es soll ja 'ne Weile reichen. Für den Fall, daß wir kurzfristiger Bares bräuchten, bietet Toula an, daß ihr Vater uns morgen einen Teilbetrag leihen könnte. Also einen "Teilbetrag" "leihen". Ihr Vertrauen in den Erfolg der Einlöseaktion scheint doch begrenzt zu sein.

Am nächsten Vormittag, gerade brechen wir zur Inselerkundungswanderung auf, steht Toulas Vater vor der Tür, zieht ein fingerdickes Geldscheinbündel aus der Tasche und zählt mir Fünftausender in die Hand. Nach zehn Scheinen fragt er, ob's erstmal reicht. "Ja, wir denken es reicht erstmal".

Volta - laufend erfahren

Endlich am Ziel unserer 15km-Wanderung: Das Dorf Chrisomilla. Dieses an den Hang gemalte weiße Fleckchen, dem wir uns seit 5 Stunden in kleinen Schritten nähern. Die über 2 Höhenzüge führende Piste ließ uns Fournis ausgewählte Ansichten genießen: Atemberaubende Buchten mit kleinen Sandstränden. Immerhin wäre der Abstieg zwecks eines erfrischenden Bades eine eigene Wanderung. Runde, an den Rändern angeknabberte Formen. Sanfte Hänge. Auch schroffe Klippen neben mäßig steilen Flanken. Dunkelgrau, eisenrot, auch Kreideschiefer. Terrassenfelder bezeugen unermüdliche Ackerbauanstrengungen. Die Berge zeigten sich von allen Seiten und erlaubten zwischendurch immer mal wieder einen sehnsüchtigen Blick auf den Endpunkt der Wanderung: Chrisomilla.

Doch hat hier die einzige Taverne, die wir finden, geschlossen. "End-of-season"-Stimmung. Ein Dorfbewohner im Garten vor seinem Haus. Er kann seine Belustigung nicht verbergen über meine Frage. Das einzige Cafenion ist unten am Kaiki-Anleger. Wunderbar diese Treppe. Wieviel hundert Stufen sind es? Ein bestimmter Wadenmuskel jubelt. Wanderunerfahren wie wir sind, hat uns dieser Ritt ziemlich ausgezehrt. Neben dem Anleger ein kleiner Strand. Fischer flicken ihre Netze. 2 Tische, ein paar Stühle. Dies ist wohl ein Cafenion.

Wir setzen uns an den freien Tisch. Im Innern des Häuschens spült eine junge Frau Gläser. Durstig, dennoch brav, warten wir darauf nach unseren Wünschen gefragt zu werden. Auch diese Lektion müssen wir nach monatelanger Griechenland-Abstinenz immer wieder erneut lernen: Keine mangelnde Aufmerksamkeit - natürlich hat man uns längst bemerkt. Es ist das Angebot hier verzehrzwanglos Platz zu nehmen, sitzenzubleiben solange wir wollen. Der Gast möge seinen Wunsch eigeninitiativ kundtun. Ein Zuruf nach drinnen genügt. So tun es die Griechen. Deshalb haben sie an ihrem Kafedaki bereits genippt, während sich der Fremde fragt, warum er noch nicht mal seine Bestellung loswurde. Er ist eben konditioniert auf: "Warte bis du bedient wirst !" Und natürlich will sich niemand ausgerechnet in Griechenland ungeduldig zeigen. Diese unterschiedlichen Erwartungen könnten leicht zu Unverständnis führen.

Der Grieche am Nachbartisch genießt bereits sein Getränk, während wir noch niemandem von unserem Durst erzählt haben. Wir rufen nicht, wir gehen rein. Die Wirtin gibt zu erkennen, daß wir uns an der Kühlvitrine selbst bedienen möchten. Die letzte Soda ist unser - auch hier geht die Saison zuende. Unsere Füße plattgelaufen. Quartier im 15 Kilometer entfernten Fourni. Wir brauchen ein Transportmittel. Ich erkundige mich bei der Wirtin nach einer Mitfahrgelegenheit. Sie schaut irritiert. Zur Verdeutlichung schieb ich einen Begriff des Personenverkehrs nach "Taxi?" Skeptisch wiederholt sie "Taxi?" und denkt wohl: "Der spinnt, der Touri". Hartnäckig zeig ich, was ich kann: Ich zähle Verkehrsmittel auf. Bei "Kaiki?" wird sie sofort verbindlich. "Meinem Vater gehört das Kaiki dort am Anleger. Er schläft noch." Wir sollen warten. Eh' zu erschöpft um wegzugehen sinken wir an den freien Tisch.

Beim Zuschauen erahnen wir, wie mühsam auch die Anlandarbeit der Fischer ist: Das Netz, einen Kilometer lang mehrere Meter breit, ist auf dem Boden ausgelegt und wird auf Beschädigungen untersucht, das Schiffchen mit der aufgewickelte Reparaturschnur in der Hand. Flink sind aufgerissene Maschen geflickt.

Kaiki - schwankende Eindrücke

Ein hinzugekommener Fischer nimmt am Nachbartisch Platz. Er meint Margit vom letzten Jahr zu kennen. Nein, wir sind zum erstenmal hier.

Wir genießen es zu sitzen. Bleifüße und steife Schenkel lassen uns zweifeln, heute überhaupt noch irgendwohin zu laufen. Plötzlich fragt er: "Ihr wollt nach Fourni ?" Wir bejahen erwartungsvoll. Ob er 'ne Möglichkeit kenne? "Ja, natürlich - er ist Michalis, der Kapitän des Kaikis dort. Aha, dies ist also der Papa! Ich krieg nur noch ein müdes "Was kostet die Fahrt?" heraus. Ohne zu zögern nennt er seinen "Freundschaftspreis - 12000". Ich hatte geschätzt, daß irgendwas bei 8000 angemessen wäre. Immerhin fährt er nur für uns und leer zurück. Aber mir gelingt nicht mal mehr eine Geste des Erstaunens über diese offensichtlich als Verhandlungsbasis gemeinte Einstiegsforderung. Zu erschöpft um ihm das Vergnügen des Verhandelns zu bereiten schleppen wir uns widerspruchslos an Bord.

Käpt'n Michalis startet den Diesel, legt die Stirn in Falten und verschwindet mit Kopf und Oberkörper für ein paar Minuten im Maschinenkasten. Als einzige Passagiere haben wir freie Platzwahl. Die kleine Bank auf dem Vordeck sagt uns zu. Mit kritischem Blick über die vom aufkommenden Wind weißgescheitelten Wellen mahnt Michalis zum Ablegen. Bald tuckern wir - romantisch aber wahr - in den Sonnenuntergang hinein. Zunächst Kurs auf die Spitze einer Landzunge und nach deren Umfahrung Fourni direkt voraus mit achterlicher See. Doch bis zu diesem Kap ertstmal Wellen von schräg vorn.

So unscheinbar die kleinen Schaumkämme eben noch aussahen, bereits wenige Minuten nach dem Ablegen beginnt unser Kaiki schwer zu rollen. Margit, als Pfälzerin wenig maritim ambitioniert, habe ich allerdings nie seekrank erlebt. Auch jetzt ist ihre einzige Sorge, das Boot könne "umkippen" oder wir würden ins Wasser fallen. Krampfhaft stemmt sie sich den Schräglagen entgegen. Unser Käpt'n - breitbeinig stabil - ruft gegen den Wind, dies sei 5-6 Beaufort. Er könne bis 10 Bft fahren. Ja, aber nicht mit Margit. Zunehmend schlägt Gischt über Deck. Ich bedeute Michalis, er möge Fahrt zurücknehmen, damit wir in die Kajüte kommen können. In voller Fahrt hätte sich Margit nicht von ihrer Bank getrennt. Er meint, in 5 Minuten wären wir ums Kap und hätten dann ruhigeren Kurs. "Ja" erwider ich "aber in 5 Minuten sind wir patschnaß". Ist halt doch nicht so romantisch hier vorn. In der gemütlichen Kajüte können wir die Überfahrt nun genießen, trotz des zunehmenden Windes. Michalis dachte, es hätte uns auf dem Vordeck gefallen. Meine Beruhigungsversuche hielt er wohl für verliebte Umarmung. Im Hafen von Fourni will sich Käpt'n Michalis nicht lange aufhalten, bedankt sich ausdrücklich bei Margit für ihren Mut und verabschiedet sich mit der Frage, ob sie nicht gleich wieder mit zurückfahren will. Sie will nicht.

Oichi provlima - überraschende Lösungen

Am nächsten Tag treffen wir Michalis in Fourni wieder. Stolz erzählt er uns heute 8 Beaufort getrotzt zu haben. Wir vermuten, daß er nun täglich eine Testfahrt durchführen kann, dank unseres gestrigen Sponsorings.

Überraschenderweise ist Toula, unsere Vermieterin, schon am heutigen Sonntag von Ikaria zurückgekehrt. Selbstverständlich ohne unser Geld, weil selbstverständlich die Banken am Wochenende geschlossen hatten. Kein Problem! Sie hat die Schecks einem Onkel auf Ikaria gegeben. Der wird, sobald er sie am morgigen Montag eingelöst hat anrufen und schon werden wir den Rest unseres Geldes bekommen.

Tatsächlich ist der nächste Tag Montag. Tatsächlich hat auch heute Toulas Onkel angerufen allerdings nur um mitzuteilen, daß sich die Banken im Streik befinden. Erwartungsgemäß folgte ein Dienstag. Wieder ruft Toulas Onkel an und ... Überraschung: Es hat geklappt, unser Geldproblem ist gelöst. Eine beachtliche Team-Leistung.

Der ältere Herr, den wir wegen seiner wiederholten Zimmerangebote für leicht aufdringlich hielten, heißt Nico. Er läßt unserem voreiligen Urteil keine Chance. Ja, natürlich hat er auch geschäftliche Interessen. Ihm gehören Appartements in der idyllischen Nachbarbucht Kampi. Doch schnell lernen wir Nico als aufrichtig hilfsbereit kennen. Er pflegt den Kontakt mit Touristen. Immer ein bißchen mehr als "Ti kanis?" "Kala, essi?" Er kennt den Wetterbericht, die aktuellen Fährinfos, eben alles, was im Mikrokosmos eines Touristen Bedeutung hat.

Nach ein paar Tagen befrage ich Nico zum leidigen Thema Geldwechseln. Welche Methode kann er uns empfehlen? Ganz einfach: Er selbst verflüssigt Euroschecks. Wieviel wir brauchen? 50000? Kein Problem. Er holt aus seiner Hosentasche ein Geldscheinbündel und zählt uns den Gegenwert für unseren Scheck in die Hand! So einfach kann das sein.

Wie war das gleich bei unserer Suche nach einer Wechselstube? Der rätselhafte Hinweis "Nico" ... "Hotel" hieß also: "Nico, der die Zimmer vermietet". Wir wollten's ja nicht verstehen.

Wer will jetzt unbedingt verstehen, warum Toula uns nicht an Nico verwiesen hat?

© Klaus Thomas 2001

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