Oktoberartiger September

von Klaus Thomas

Die erwählte Taverne ist zu gut besucht um einen freien Platz zu finden. Gerade wenden wir uns zum Gehen, um es in einem anderen Lokal zu versuchen. Da bietet uns eine alleinsitzende Frau ihren Tisch an. Sie habe eben bezahlt und sei gerade im Aufbruch. Über dieser freundlichen Geste kommen wir ins Gespräch. Sie hat sich regenfest anzuziehen und kramt eine outdoor-erprobte Taschenlampe hervor, während sie mit dem Hinweis "mal sehen ob im Zelt alles trockengeblieben ist, nach diesem Wolkenbruch" keinen Zweifel daran lässt, dass sie zur Elite der Hardcore-Camper gehört. Überraschend, da sie mein erster voreiligen Augenschein eher heutzutage in einem  Zimmer mit gewissem Komfort unterbrachte, denn in einem Zelt, das sie vielleicht vor zwanzig Jahren bevorzugt haben könnte.
Sofort bestätigt sie wenigstens meine Vermutung die Vergangenheit betreffend:
"Ich komme seit zwanzig Jahren nach Sougia, zelte immer am Strand. Es gibt nichts besseres".
Mir steht nicht der Sinn danach, jetzt jahrzehntelange Campingerfahrungen auszutauschen oder gar in einen länger-intensiver-kenntnisreicher-Wettbewerb zu verfallen. Ersatzweise sollte das Wetterthema zum unverbindlichen Smalltalk taugen:
"So einen heftigen Dauerregen wie heute hat es hier im September wohl noch nie gegeben?" biete ich als flache Überleitung zum Abschiedsgruß an. Nicht flach genug, um widerspruchsfrei zu bleiben:
"Doch, das hab' ich schon erlebt."
"Tatsächlich? Wann war denn das?"
"Vor ungefähr drei Jahren"
"Im September? - Daran kann ich mich gar nicht erinnern"
"Nein, das war im April"
"Ja eben. Aber im September ist so ein Wetter doch sehr untypisch auf Kreta"
"Doch das gibt es schon hin und wieder mal"
"Im September?"
"Im September nicht, aber im Oktober kann es schon mal heftig regnen".
Zum Durchbrechen dieser Logikschleife wünschen wir ihr eine regenarme Nacht, was sie zur Erwiderung veranlasst: "Alles kein Problem, wenn man die richtige Ausrüstung hat."
Nur einen Moment lang fragen wir uns, warum sie denn vor einer Minute noch Zweifel an der Regendichtigkeit ihres Zeltes hatte. Immerhin sind wir nun unterichtet, dass es sich bei ihr um einen Sougia-Freak handelt, die mit April und Oktober, aber weniger mit September und Logik vertraut ist.
Während ich noch versuche, die Bedeutung dieses Gesprächs der ganz besonderen Art zu erkennen, flüstert Margit mir zu:"Würde mich nicht wundern, wenn sich dieser Dialog in einer deiner nächsten Geschichten nachlesen liesse."

© Klaus Thomas 2009
 

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