Sfakia - spannende Umfahrung

von Klaus Thomas


Nach ein paar Schnuppertagen in Sougia wollen wir in die Nähe von Chora Sfakion umziehen, wo wir den wesentlichen Teil unseres Urlaubs - noch gute zwei Wochen - verbringen werden.

Üblicherweise findet der Transport zwischen den Küstenorten am Fuß der strassenarmen Weissen Berge auf dem Wasserweg statt. Bereits gestern wollten wir mit der Morgenfähre nach Agia Roumeli
am Ausgang der Samaria-Schlucht  übersetzen. Am Nachmittag hätten wir dann das Schiff nach Sfakia genommen, das die Schluchtwanderer zu ihren dort bereitstehenden Bussen bringt.
An der Formulierung "wollten" und "hätten" ist zu erkennen, dass der Plan Theorie blieb. Noch um halb 8 Uhr morgens auf der Terrasse
beim Frühstück, für unsere Gewohnheit ein Vielzufrühstück, stand vermeintlich der Realisierung des Planes nichts entgegen. 
Dann auf dem Weg durchs Dorf zum etwas ausserhalb gelegenen Fähranleger sahen wir einen ebenfalls Gepäckbeladenen. Während ich mich noch wunderte, ihn vorher noch nicht wahrgenommen zu haben, obwohl er doch mindestens seit dem Vortag hier war, sprach er uns an: "Wollt ihr auch mit der Fähre nach Roumeli? - Die fährt heute nicht - 
die Hafenpolizei lässt sie nicht auslaufen - wegen Schlechtwetter".

Noch bevor ich meine Zweifel darüber äussern konnte, wendete er sich ab, um die über den Bergen aufsteigende Sonne zu fotografieren. Der Ehrgeiz zur optimalen Komposition eines Bildvordergrunds lässt ihn zu diesem Zweck auf die Knie gehen. Als engagierten Foto- und Videografen mit Kamera vor seiner Nase erkannten wir ihn jetzt wieder. So war er uns schon am vergangenen Abend aufgefallen. Offenbar hat er sich vorgenommen, seinen Urlaub lückenlos zu dokumentieren. "Der nimmt seinen kompletten Urlaub nur durch die Sucherlinse wahr" haben wir gelästert "zuhause beim Betrachten der Fotos und Videos wird er sich wundern, wo er überall gewesen ist und was es dort zu sehen gab".

Zum Gerücht der nicht verkehrenden Fähre versuchte ich gleich vom Supermarktinhaber Klarheit zu bekommen. Er wusste auch nichts von einem Ausfall. - Na also. Doch er wollte es genau wissen und rief gleich mal die Hafenpolizei an. "Ja es stimmt - heute geht kein Schiff".
"An jedem der vergangenen Tage ist die Fähre gefahren und da war nicht weniger Wind" wunderten wir uns "Gerade heute ist das Meer glatt wie Öl".

Allerdings brieste es im Laufe des Tages erheblich auf und es gab heftige Regenfälle, wegen denen die Samariaschlucht vorsorglich gesperrt wurde. Ohne die Schluchtwanderer hätte die Fähre heute eh an Passagiermangel gelitten.

Nun ging es um die Frage, ob die Fähre am nächsten Tag fahren würde. Die diesbezüglichen Prognosen waren so zahlreich wie die Gesprächspartner und reichten von "Das Wetter hält drei Tage an" bis "wechselt täglich - morgen ist alles wieder ok" nicht jedoch ohne den Zusatz "Ich würde morgen das Schiff fahren lassen, wenn ich die Hafenpolizei wäre".

Getreu der Devise: "Frag so lange, bis du eine Antwort bekommst, die dir gefällt" sitzen wir heute morgen zur selben Zeit zum Vielzufrühstück auf unserer Terasse. Nur zur Gewissheit lauf ich schnell mal ohne Gepäck ins Dorf, vorbei am friedvollen Strand, an dem ein leicht gekräuseltes Lybisches Meer leckt. Zufällig treffe ich gleich den Tavernenwirt, der auch für die Fährtickets zuständig ist. Er erkennt mich  schon von Weitem und ruft mir zu:
"Ochi karavi"(Kein Schiff). Für meine Frage "Warum?" hat er ebenso wie für mein insistierendes "Und morgen?" nur ein genervtes Schulterzucken zur Antwort.

Als Alternative zur der, an das ewiggrüßende Murmeltier erinnernden, morgigen Aussicht auf ein weiteres Frühstück, das uns dann, wegen allmählicher Konditionierung, vielleicht gar nicht mehr als früh, sonder schlicht als "stück" erscheinen wird, gäbe es am heutigen Sonntag folgenden Plan B: Wir könnten mit dem Mittagsbus nach Chania fahren und versuchen dort den Nachmittagsbus nach Sfakia zu erreichen. Abgesehem davon, dass uns heute mehr der Sinn nach Seefahrt als nach zweimaliger Überquerung der Weissen Berge steht, birgt Plan B das Risiko den Anschlussbus zu verpassen und dann im hektischen Chania einen Abend und eine Nacht zu verbringen, wofür wir uns gerade gar nicht begeistern können. Das sind die Kleinigkeiten, die im alltagsfernen Urlaub problemähnliche Bedeutsamkeit annehmen. Allerdings würden wir uns bei Gelingen von Plan B heute abend in Sfakia wohlfühlen. Geplante Abfahrtszeit des Chania-Busses : 12Uhr. Voraussichtliche Fahrtzeit anderthalb bis zwei Stunden. Jemand, der einen Busfahrer in der Familie hat, weiß zu berichten, dass es zur Zeit in den Bergen wolkenverhangen ist, was zu langsamen Fahren zwingt, so dass es eher fraglich scheint, ob der 14Uhr-Bus nach Sfakia erreicht werden kann.
Da uns diese Auskunft nicht gefällt, sammeln wir weitere. Es gelingt mir den Fahrer des Chania-Busses selbst zu befragen, der nach seiner frühen Ankunft hier bis zur Rückfahrt einen mehrstündigen Aufenthalt hat. Nachdem ich ihm unseren Plan unterbreite, wiegt er seinen Kopf und lässt sich zu der ersehnten Bestätigung hinreissen: "Das wird klappen". Ich will nicht zweifeln, ob ich ihn durch mein suggestives Fragen zu einer Gefälligkeitseinschätzung verleitete. Wir haben endlich eine Auskunft, die uns passt. An der halten wir fest, indem wir uns gegenseitig bestätigen "Wer sollte es besser wissen als der Busfahrer?"
Wir beschliessen, die mögliche Zwangsübernachtung in Chania ein vernachlässigbares Restrisiko sein zu lassen und besteigen Viertel vor zwölf den an der Platia bereitgestellten Bus.

--- (Fortsetzung) ---

Seit einigen Jahren beobachten wir, wie kretische Busse, zumindest am Startpunkt, minutengenau den Fahrplan einhalten. Jetzt gibt es gerade eine Ausnahme. Unser Fahrer hat offenbar noch ein Problem zu klären und führt vor der Terrasse des gegenüberliegenden Lokals ein angeregte Diskussion. Nachdem alles geklärt ist, nimmt er zügig seinen Platz am Lenkrad ein und fünf nach zwölf schliessen sich zischend die Türen. Gerade biegen wir in die vom Platz wegführende Hauptstrasse ein, da nähert sich gestikulierend eine mit Rollkoffern und Rucksäcken bepackte Familie. Was immer der Grund für ihre Verspätung sein mag, selbstverständlich wird angehalten und beim Verstauen des Gepäcks im Laderaum geholfen. Nur wenige Minuten später sind wir Chania die ersten Meter nähergekommen.
- Unser Restrisiko dort übernachten zu müssen hat geringfügig zugenommen.
Obwohl wir vor wenigen Tagen auf derselben Route gekommen sind, erinnere ich nicht mehr wie lang sich die Strasse neben der tiefeinschneidenden Agia-Irini-Schlucht hinzieht und wieviele Dörfer an der Strecke liegen. Heute steigt in fast jedem Dorf jemand zu.
- Wir versichern uns gegenseitig, dass ein Abend in Chania gar nicht so übel ist.
Jetzt wird sogar hinter dem Ortsausgang ein weiterer Halt notwendig. Es ist offenbar ein guter Bekannter des Busfahrers der Handzeichen gegeben hat, um hier zuzusteigen. Er lässt sich gleich in der ersten Sitzreihe nieder und sofort verfallen die beiden in ein angeregtes Dauergespräch. Ich bin sicher, dass sich dadurch der Fahrstil unseres Lenkers spürbar verlangsamt.
- Wir werden wieder bei der netten Pensionswirtin Quartier beziehen, bei der wir am Ankunftstag gewohnt haben.
Auch der Allesknipser sitzt mit uns im Bus. Er will bis zum oberen Einstieg der Schlucht mitfahren, um sie von dort zurück nach Sougia zu durchwandern.  Eine attraktive Tour bei der es sicher viel zu knipsen gibt.
Schon jetzt macht er nach allen Seite Aufnahmen, wobei er mehrfach den Sitzplatz wechselt.
Es beginnt zu regnen. Aus Vorsicht drosselt unser Chauffeur die Geschwindigkeit noch ein wenig.
- Wir stellen uns ein leckeres Abendessen im venezianischen Hafen von Chania vor.
Die Sonne bricht durch. Der entstehende Regenbogen versetzt unseren Bildprotokollanten in Entzücken. Auch die Wasserschlieren auf den Scheiben können ihn nicht vom Fotografieren abhalten. Tatsächlich macht er durchs Busfenster eine Aufnahme vom Regenbogen - mit Blitzlicht! Heute steht ihm nicht der Sinn nach gelungenen Fotos. Gut so, hätte er sonst womöglich darum gebeten anzuhalten, um kurz eine Aussenaufnahme zu machen.
Die Unterhaltung zwischen dem Fahrer und seinem Freund nimmt an Intensität zu, so wie seine Konzentration auf die Strasse abnimmt. Verantwortungsvoll nimmt er deshalb Gas weg und fährt die Kurven lang aus.
Vielleicht hat er vergessen, Passagiere mit Anschlusswunsch an Bord zu haben? Nach ungefähr der halben Fahrtzeit geh ich nach vorn und erlaube mir sein Gespräch zu unterbrechen um ihn zu fragen, ob es dabei bliebe, spätestens um zwei in Chania zu sein. Er schaut mich an und ich zweifle, ob es ihm nicht erst in diesem Moment wieder einfällt: "Ihr wollt nach Sfakia?" und nach einem schätzender Blick auf die Uhr "Es wird klappen" .
Ich bilde mir nicht nur ein, dass wir von diesem Moment an wieder etwas schneller unterwegs sind.
- Wir stellen uns ein leckeres Abendessen auf der Strandterrasse einer Sfakia-Taverne vor.
Noch bevor wir die Stadtgrenze erreichen, nimmt die Verkehrsdichte spürbar zu. Die beampelte Kreuzung können wir erst mit der dritten Grünphase passieren. Nur noch wenige Blöcke vom Busbahnhof entfernt stehen wir im Stau. Werden wir das zweifelhafte Vergnügen haben, den Sfakia-Bus von Ferne zu sehen, wenn er seine Fahrt antritt?
Unser Präzisions-Chauffeur mit Unterhaltungskompetenz biegt fünf vor zwei in die Torzufahrt des Busbahnhofs ein.
Leidenschaftslos nimmt er mein erleichtertes Dankeschön fürs rechtzeitige Ankommen entgegen "Hab ich doch gesagt".
Schnell wechseln wir in den bereitstehenden Sfakia-Bus. Völlig enstspannt geniessen wir die beindruckende Aussicht auf Askifou-Ebene, Imbros-Schlucht und das baldige Wiedersehen mit dem Libyschen Meer.
Es wäre nicht fair, würden wir diese Strecke jetzt mit der westlicheren Sougia-Route vergleichen. Unsere Genussfähigkeit beim ersten Teilstück des heutigen Transfers ist doch etwas eingeschränkt gewesen. "Aber schöner ist es hier schon!"
Niko nimmt uns zur Begrüssung lachend in die Arme: "Epitelous edo" (Endlich hier). - Wie Recht er doch hat.

© Klaus Thomas 2009
 

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